Hellmut G. Haasis (1942 – 2024)

Nachruf auf Hellmut G. Haasis am 5.6.2024 in Kaiserslautern von Volker Gallé

Helmut G. Haasis am Fuße des Hambacher Schlosses während einer politischen Radreise im Jahr 2012

Am 23. Februar diesen Jahres ist Hellmut G. Haasis in Reutlingen gestorben. Geboren wurde er im Jahr 1942, also 82 Jahre zuvor,  in Mühlacker, nach seiner eigenen Deutung „auf der grenze zwischen baden und württemberg, deshalb unverantwortlich viel symbadie für die leichteren badener (grazie mille).“  Und weiter: „lebt schreibt spielt fantasiert…im südwest-dreieck zwischen basel strasbourg upflamör“. Das kleine Albdorf Upflamör ist heute ein Teil der Gemeinde Zwiefalten auf der schwäbischen Alb in direkter Nachbarschaft der  keltischen Heuneburg. Keltisch-alemannisch-oberrheinisch ist eine poetisch-politische Verortung eines Regionalismus, der sich jenseits der nationalen Metropolen Frankreichs und Deutschlands mit heute eher verborgenen Überlieferungen des Eigensinns verbindet. Der Wiesbadener Schriftsteller Alfons Paquet hat das hier beheimatete sowohl freiheitliche als auch eidgenössische Denken Ende der 1920er Jahre einmal als heilende Kraft der Verschweizerung gegen die völkischen Kriegsmaschinen der europäischen Nationalstaaten ausgerufen.

Das hätte Hellmut sicher gefallen. Er sprach nicht nur mit Überzeugung schwäbisch, dichtete auch in seiner Muttersprache und nutzte gern die kleinschreibung, verzichtete also gern auf großspurige Anfangsbuchstaben und Hauptwörter. Er verstand sich als „geschichtenausgräber“ und „erzähler“. Und was er da suchte und nichtbeachteten Quellen entriss waren „Spuren der Besiegten“, wie er eine dreibändige, bei Rowohlt 1984 erschienene Textsammlung benannt hat. Im Untertitel heißt es, man könne von Freiheitsbewegungen lesen, und zwar von den Germanenkämpfen bis zu den Atomkraftgegnern. Mit „Germanenkämpfen“ meinte er die vielfachen Aufstände germanischer Stammesgruppen gegen das römische Imperium und seine Kolonisierung der Landschaften am Rhein. Dazu anschlussfähig waren der Bauernkrieg, an den wir uns im nächsten Jahr nach 500 Jahren als „Revolution des gemeinen Mannes“ erinnern, eine Begriffszurechtrückung des Schweizer Historikers Peter Blickle, die von der französischen Revolution inspirierte frühe Demokratiebewegung am Rhein von 1789 bis 1849, der Widerstand gegen die Nazidiktatur – nicht von ungefähr hat Hellmut 1996 ein Jugendstück nach den im Kölner Raum beheimateten „edelweißpiraten“ benannt und 2012 ein Buch über den schwäbischen Hitlergegner Georg Elser- und der grenzüberschreitende oberrheinische Widerstand gegen die AKW’s in Fessenheim und Wyhl in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Die Pfalz kommt in Band 3 vor, wenn über die Zeit der Demokratenverfolgung nach 1849 berichtet wird. Hellmut zitiert einen zeitgenössischen Zweibrücker Rechtsanwalt; „Dumpf lastete die Reaktion der 1850er Jahre auf den Gemütern. Ein strebsamer Staatsanwalt…von nicht unbedeutendem Talent, das aber mit seinem Ehrgeiz keineswegs gleichen Schritt hielt, war durch seine Demokratenverfolgung allmächtig geworden und beherrschte als kleiner Gernegroß die Beamtenwelt des Ländchens…An den Wänden lauschend schlich ein verächtlich herausgehätscheltes Denunziantentum durch die Straßen, und in den Wirtshäusern verstummte sogar die politisch Kannengießerei. Man griff lieber zum Kartenspiel, weil jedes freie Wort hinterbracht und als mißliebig oben angekreidet ward.“

Im Jahr 1977 gab er die Novelle „Die Freischärlerin“  des Kaiserslauterer Autors Friedrich Albrecht Karcher heraus, die Ereignisse zur Zeit der  Reichsverfassungskampagne im Frühsommer 1849 in der Pfalz erzählt, und  zwar im Frankfurter Verlag Roter Stern, den der ehemalige SDS-Vorsitzende KD Wolff sieben Jahre zuvor gegründet hatte. Auch das gibt einen Hinweis auf Hellmuts politische Orientierung in der antiautoritären Linken der Achtundsechziger.

Da ich keine umfassende Würdigung von Hellmuts Lebenswerk liefern kann, will ich mich im weiteren Verlauf auf seine Wirkung im Linksrheinischen beschränken, soweit ich sie selbst erlebt habe.

Zwei Jahre nach der „Freischärlerlin“ organisierte ein Freund von mir, Heiner Simon, Ökowinzer aus Wörrstadt-Rommersheim mit guten Kontakten in die Freiburger Anti-AKW-Szene und den Regionalismus im Elsass, in der Bretagne und in Okzitanien, anlässlich der 130. Wiederkehr von 1849 ein Freischärlerfest, bei dem Hellmut einen Vortrag hielt. Damals erfuhr ich erstmals, mit 22 Jahren, von dem Engagement der rheinhessischen Bürgerwehren in Kirchheimbolanden, bei dem 17 junge Turner im Schusswechsel mit preußischen Truppen getötet worden waren. Zur Gedenkfeier auf dem Friedhof von Kirchheimbolanden kam auch ein alter Mann aus dem Donnersbergkreis in einem alten VW und brachte ein Bild von Robert Blum mit, das bei seiner Familie zuhause an der Wand gehangen habe, wie er sagte. Ähnliche verstreute Erinnerungen, Spuren der Besiegten, wenn man so will, erfahre ich noch heute bei Vorträgen zu 1848/49 in Rheinhessen. So erzählte mir kürzlich ein Mann in meinem Alter in Wörrstadt, sein Opa habe oft den Spruch gesagt: „Hecker, Struve, Zitz unn Blum, kumm unn stoß die Ferschte um!“

1984 gab Hellmut im Ullstein-Verlag den Quellenband „Morgenröte der Republik“ mit dem Untertitel „Die linksrheinischen Demokraten 1789-1849“ heraus, ein Zeitraum und eine Verortung, die noch heute eine Rolle spielt in der Vermittlung der Demokratiegeschichte in Rheinland-Pfalz. Darin fand ich ein Zitat aus dem Jahr 1817 zur Beschreibung des Verhältnisses der Linksrheiner zur französischen Zeit zwischen 1792 und 1814, das mir sehr passend erschien, so dass ich es beim Rheinhessenjubiläum 2016 und auch sonst in vielen meiner Vorträge und Kleinkunstprogramme gern verwendet habe: „Das Land möchte wohl französisch sein, wenn es nur ohne Franzosen so sein könnte.“

Zur 150. Wiederkehr von 1849 im Jahr 1999 habe ich mit ihm gemeinsam im Bodenheimer Philo-Verlag den politischen Reiseführer „Oberrheiner Freiheitsbäume“ verfasst. In seinem Freiheitsbaumverlag gab er in der Reihe „Blauwolkengasse“ Reprints von Schriften der frühen Demokraten im Südwesten in kleinen Auflagen heraus. Das passte also gut zusammen.

Als die Wormser Nibelungenfestspiele im Jahr 2011 ein Theaterstück zum Justizmord an Joseph Süß Oppenheimer genannt Jud Süß auf die Bühne bringen wollten, empfahl ich Hellmut auf Grund meiner Funktion als städtischer Kulturkoordinator als Berater. Mit dem Intendanten und Regisseur Dieter Wedel wurde ich im Lauf der Stückfertigung, bei der er – wie er es oft machte – Elemente aus einem beauftragten Stück von Joshua Sobol und des Romans von Lion Feuchtwanger zu einem Wedeltext montierte, uneins, was wie gewöhnlich bei interner Kritik mit einem Kommunikationsabbruch endete. Ich hatte u.a. kritisiert, dass er meines Erachtens die von Hellmut im Jahr 2001 in einem Rowohlt-Buch herausgearbeiteten Charakterzüge Oppenheimers als Freidenker und Bücherfreund, also als Freund der Frühaufklärung, in seiner Figurenzeichnung vernachlässigt habe. Um dazu ein Gegengewicht zu schaffen, sorgte ich dafür, dass Hellmut im städtischen Worms-Verlag mit dem „totengedenkbuch für joseph süß oppenheimer“ einen Quellentext publizieren konnte, der ein hebräisches Gedenkblatt von Salomon Schächter aus dem Jahr 1738  mit Übersetzung enthielt.

Das sollen nur wenige Spuren von Hellmuts Wirken im Linksrheinischen sein. Sie finden auch ihren Ausdruck in der Widmung an ihn, die Thomas Handrich seinem gerade im Oppenheimer Nünnerich-Asmus-Verlag erschienenen Buch „Erinnerungsorte zur Geschichte der Demokratie“ vorangestellt hat. Ich hoffe, dass ich mit meiner kurzen und eingeschränkten Suche nach Spuren von Hellmut G. Haasis etwas dazu beitragen konnte, dass man sich an ihn weiter als für die Demokratiegeschichte wichtigen „geschichtenausgräber“ und „erzähler“ erinnert.